Inga steht unter der Dusche und ist wie berauscht von dem Abend mit Mark. Es war phantastisch im Bett, und Mark hat sie fast wahnsinnig gemacht mit seinen Küssen und Berührungen. In solchen Momenten denkt sie, dass es alle Entbehrungen wert ist, Marks Geliebte zu sein. All das Warten, das Hoffen, die Aufregung. Immer wenn Mark da ist, weiß Inga, dass er genau der Mann ist, mit dem sie immer zusammen sein wollte.
Ein paar Tage später ist der Kummer wieder da. Die Ungewissheit, wann sie sich wieder treffen werden. Inga fragt sich, wann Mark seiner Ehefrau endlich die Karten auf den Tisch legen wird. Wie lange sie die Situation noch ertragen will. Es macht sie traurig, immer versteckt und verleugnet zu werden, im Schatten zu lieben. Und doch spielt sie das Spiel mit. Schon viele Monate.

Eine Affäre mit einem gebundenen Mann ist für die Selbstachtung einer Frau ein zweischneidiges Schwert. Zunächst fühlt sich die Rolle der heimlichen Geliebten großartig und machtvoll an: Man fühlt sich begehrt und unwiderstehlich. Ist man doch der Grund, dass ein Mann seiner Partnerin untreu wird. Die Treffen mit dem Geliebten sind so innig und leidenschaftlich, man fühlt sich wie eine Sexgöttin. Kann die Frau mit dem Arrangement Affäre leben, so kann sie durch die Affäre eine Bereicherung für sich erfahren und sich in ihrer Anziehungskraft als Frau bestätigt fühlen.

Was ist aber, wenn die Geliebte sich verliebt? Wenn sie mehr Zeit mit dem Affärenmann verbringen will und den Rahmen der Affäre eigentlich verlassen will? Dann fühlt sich die Geliebte zwar körperlich begehrt, aber als Person zurückgesetzt. Die Momente des Zusammenseins sind wunderbar, doch der Mann wird an Feiertagen nicht verfügbar sein, keinen Urlaub mit ihr machen können, oft nicht bei ihr übernachten können. Die Affäre muss verheimlicht werden. Das alles hinterlässt bei der Geliebten, die sich eine Beziehung wünscht, häufig ein Gefühl „es nicht wert zu sein“.

Manche Geliebten beginnen, sich anzustrengen, um sich die Liebe des Mannes zu verdienen und ihn auf ihre Seite zu ziehen. Sie kaufen sich aufregende Dessous, überlegen sich Überraschungen für den Geliebten und wollen ihm zeigen, dass sie die bessere Partnerin sind. Aber meistens geht die Strategie nach hinten los: Der Mann spürt, dass die Geliebte ihn braucht und zu manipulieren versucht, und sein Begehren wird dadurch eher geringer. Je mehr die Geliebte ihr Leben nach dem Affärenmann ausrichtet, desto mehr vernachlässigt sie sich selbst und verliert die Kraftquellen, die sie so dringend nötig hätte, um die Affäre auf Augenhöhe zu führen.

Was meiner Meinung nach aber am destruktivsten auf die Selbstachtung der sogenannten Schattenfrauen wirkt, ist die Verleugnung der eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Viele Geliebten trauen sich gar nicht, Forderungen zu stellen und ihre eigenen Wünsche überhaupt auszusprechen. Sie haben Angst, den Affärenmann dadurch zu sehr unter Druck zu setzen und dadurch zu verlieren. Er hat ja genug Belastung damit, dass er zwischen zwei Frauen steht und die ganze Zeit lügen muss… Doch dadurch, dass die Geliebte ihre wahren Gefühle herunterschluckt, betrügt sie sich permanent selbst. Sie bleibt passiv und hofft, dass der Geliebte von selbst irgendwann erkennt, dass sie die eine für ihn ist, was natürlich nicht geschieht. Um sich dem Konflikt zwischen eigenen Wünschen und der Realität nicht stellen zu müssen, beginnen viele Geliebte, sich die Affäre „schönzudenken“, den Affärenmann zu idealisieren und ihre Situation zu beschönigen. Durch die Opfer, die sie bringt, die langen Wartezeiten, die Entbehrungen, steigt der gefühlte Wert der Beziehung. All das würde man ja nur für jemand ganz Besonderes tun. Das muss die eine große Liebe sein.
Wenn die Affäre schließlich zerbricht, müssen sich die Geliebten nicht nur mit der Trauer um den geliebten auseinandersetzen, sondern auch mit dem Bewusstsein, sich selbst belogen zu haben und nicht nur im Schatten, sondern auch hinter einer Maske geliebt zu haben.

Weil die Schattenliebe das Gefühl für den eigenen Wert und die Selbstachtung so sehr beinträchtigen kann, arbeite ich mit den betroffenen Frauen besonders an diesen Aspekten.
Es ist möglich, sich die eigene Würde zurückzuerobern, sich aus der emotionalen Abhängigkeit zu befreien und dann aus einer stärkeren Position heraus zu entscheiden, ob man die Affäre weiter aufrechterhalten möchte.

Bild: Corinna Schütz (2015), Acryl auf Leinwand